Satz von Vitali-Hahn-Saks

Der Satz von Vitali-Hahn-Saks ist ein Satz aus dem mathematischen Teilgebiet der Maßtheorie. Er geht auf Giuseppe Vitali[1], Hans Hahn[2] und Stanisław Saks[3] zurück und besagt im Wesentlichen, dass der mengenweise Grenzwert einer Folge von signierten Maßen wieder ein solches ist.

Erste Formulierung des Satzes

Es sei ( Ω , Σ ) {\displaystyle (\Omega ,\Sigma )} ein Maßraum und darauf ( μ n ) n N {\displaystyle (\mu _{n})_{n\in \mathbb {N} }} eine Folge von signierten Maßen, so dass ( μ n ( E ) ) n N {\displaystyle (\mu _{n}(E))_{n\in \mathbb {N} }} für jede messbare Menge E Σ {\displaystyle E\in \Sigma } konvergiert. Weiter sei λ {\displaystyle \lambda } ein endliches Maß auf ( Ω , Σ ) {\displaystyle (\Omega ,\Sigma )} , so dass jedes μ n {\displaystyle \mu _{n}} absolut stetig gegen λ {\displaystyle \lambda } ist. Dann definiert die Formel μ ( E ) := lim n μ n ( E ) {\displaystyle \mu (E):=\lim _{n\to \infty }\mu _{n}(E)} ein signiertes Maß auf ( Ω , Σ ) {\displaystyle (\Omega ,\Sigma )} , das ebenfalls absolut stetig gegen λ {\displaystyle \lambda } ist.[4][5]

Der besondere Inhalt dieses Satzes besteht darin, dass sich die σ-Additivität der μ n {\displaystyle \mu _{n}} auf μ {\displaystyle \mu } überträgt und dass die Absolutstetigkeit gegen λ {\displaystyle \lambda } erhalten bleibt. Von der Voraussetzung über die Existenz von λ {\displaystyle \lambda } kann man sich befreien, denn für jede Folge ( μ n ( E ) ) n N {\displaystyle (\mu _{n}(E))_{n\in \mathbb {N} }} ist durch λ ( E ) := n = 1 2 n ( 1 + μ n ) 1 | μ n | ( E ) {\displaystyle \textstyle \lambda (E):=\sum _{n=1}^{\infty }2^{-n}(1+\|\mu _{n}\|)^{-1}|\mu _{n}|(E)} ein Maß definiert, gegen das jedes μ n {\displaystyle \mu _{n}} absolutstetig ist. Dabei sind | μ n | {\displaystyle |\mu _{n}|} und μ n {\displaystyle \|\mu _{n}\|} die Variation bzw. Totalvariationsnorm von μ n {\displaystyle \mu _{n}} . Daher kann man obigen Satz auch ohne die Erwähnung der Absolutstetigkeit formulieren und erhält den folgenden auch als Konvergenzsatz von Nikodým bekannten Satz:

Zweite Formulierung des Satzes

Es sei ( Ω , Σ ) {\displaystyle (\Omega ,\Sigma )} ein Maßraum und darauf ( μ n ) n N {\displaystyle (\mu _{n})_{n\in \mathbb {N} }} eine Folge von endlichen signierten Maßen, so dass ( μ n ( E ) ) n N {\displaystyle (\mu _{n}(E))_{n\in \mathbb {N} }} für jede messbare Menge E Σ {\displaystyle E\in \Sigma } konvergiert und endlich ist. Dann definiert die Formel μ ( E ) := lim n μ n ( E ) {\displaystyle \mu (E):=\lim _{n\to \infty }\mu _{n}(E)} ein signiertes Maß auf ( Ω , Σ ) {\displaystyle (\Omega ,\Sigma )} .[6]

Diese Version ist schwächer, da sie nicht mehr die Erhaltung der Absolutstetigkeit gegen ein weiteres Maß enthält. Man beachte, dass die Endlichkeit der ( μ n ) n N {\displaystyle (\mu _{n})_{n\in \mathbb {N} }} eine notwendige Bedingung ist, wie folgendes Beispiel verdeutlicht. Sei Ω = R {\displaystyle \Omega =\mathbb {R} } und Σ = B ( R ) {\displaystyle \Sigma ={\mathcal {B}}(\mathbb {R} )} , wobei B ( R ) {\displaystyle {\mathcal {B}}(\mathbb {R} )} die Borelsche sigma-algebra auf R {\displaystyle \mathbb {R} } bezeichnet. Für E B ( R ) {\displaystyle E\in {\mathcal {B}}(\mathbb {R} )} , definiere μ n ( E ) := {\displaystyle \mu _{n}(E):=\infty } falls E [ n , ) {\displaystyle E\cap [n,\infty )\not =\emptyset } , andernfalls definiere μ ( E ) := 0 {\displaystyle \mu (E):=0} . Dann gilt lim n μ n ( E ) = {\displaystyle \lim _{n\to \infty }\mu _{n}(E)=\infty } falls E {\displaystyle E} nicht nach oben beschränkt ist. Andernfalls gilt lim n μ n ( E ) = 0 {\displaystyle \lim _{n\to \infty }\mu _{n}(E)=0} . μ ( E ) := lim n μ n ( E ) {\displaystyle \mu (E):=\lim _{n\to \infty }\mu _{n}(E)} ist kein Maß, da sowohl μ ( [ 1 , ) ) = {\displaystyle \mu ([1,\infty ))=\infty } aber auch μ ( [ 1 , ) ) = i = 1 μ ( [ i , i + 1 ) ) = 0 {\displaystyle \mu ([1,\infty ))=\sum _{i=1}^{\infty }\mu ([i,i+1))=0} gelten müsste.

Anwendungen

Der Raum der signierten Maße auf einem Maßraum ( Ω , Σ ) {\displaystyle (\Omega ,\Sigma )} ist ein Vektorraum M ( Ω , Σ ) {\displaystyle M(\Omega ,\Sigma )} , der mit der Totalvariation als Norm ein Banachraum wird. Eine wichtige Anwendung des Satzes von Vitali-Hahn-Saks besteht darin, die relativ schwach kompakten Mengen in M ( Ω , Σ ) {\displaystyle M(\Omega ,\Sigma )} als genau diejenigen beschränkten Mengen zu charakterisieren, die gleichmäßig absolutstetig gegen ein endliches Maß sind.[7] Als weitere Anwendung ergibt sich, dass M ( Ω , Σ ) {\displaystyle M(\Omega ,\Sigma )} schwach folgenvollständig ist, das heißt, dass jede Cauchy-Folge des in der schwachen Topologie uniformen Raums M ( Ω , Σ ) {\displaystyle M(\Omega ,\Sigma )} schwach konvergiert.[8]

Einzelnachweise

  1. G. Vitali: Sull’integrazione per serie, Rendiconti del Circolo Matematico di Palermo (1907), Band 23, Seiten 137–155
  2. H. Hahn: Über Folgen linearer Operationen, Monatshefte für Mathematik und Physik (1922), Band 32, Seiten 3–88
  3. S. Saks: Addition to the Note on Some Functionals, Transactions of the American Mathematical Society (1933), Band 35, Seiten 965–970
  4. Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Anhang C, Satz C.3
  5. J. L. Doob: Measure Theory, Kapitel IX, Absatz 10: Vitali-Hahn-Saks-theorem
  6. Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Anhang C, Satz C.4
  7. Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Anhang C, Satz C.7
  8. Raymond A. Ryan: Introduction to Tensor Products of Banach Spaces, Springer-Verlag 2002, ISBN 1-85233-437-1, Anhang C, Satz C.5