Flächenformel von Pappus

Die Flächenformel von Pappus, auch Satz des Pappus genannt, ist ein Lehrsatz der euklidischen Dreiecksgeometrie, der auf den spätantiken Mathematiker Pappus Alexandrinus zurückgeht und welcher von diesem im ersten Kapitel von Buch IV[1] der Mathematischen Sammlungen etwa im Jahr 320 vorgestellt wurde. Die Formel behandelt eine wesentliche Verallgemeinerung des Satzes des Pythagoras und gilt für beliebige Dreiecke, wobei Parallelogramme anstelle der pythagoreischen Quadrate treten.[2][3][4]

Formulierung

Satz von Pappos für Dreiecke: gestreifte Fläche = karierte Fläche

Gegeben sei ein beliebiges Dreieck A B C {\displaystyle ABC} der euklidischen Ebene E 2 {\displaystyle \mathbb {E} ^{2}} . Als Grundseite des Dreiecks sei die dem Eckpunkt A {\displaystyle A} gegenüberliegenden Dreiecksseite B C ¯ {\displaystyle {\overline {BC}}} gewählt.

Über den beiden anderen Dreiecksseiten A B ¯ {\displaystyle {\overline {AB}}} und A C ¯ {\displaystyle {\overline {AC}}} , jeweils gegenüber den Eckpunkten C {\displaystyle C} bzw. B {\displaystyle B} , seien zwei beliebige Parallelogramme A B D E {\displaystyle ABDE} und A C F G {\displaystyle ACFG} gelegen und dabei sei H = D E F G {\displaystyle H={DE}\cap {FG}} der Schnittpunkt der beiden Geraden D E {\displaystyle DE} und F G {\displaystyle FG} [5][6]

Über der Grundseite B C ¯ {\displaystyle {\overline {BC}}} liege das Parallelogramm B C M L {\displaystyle BCML} , und dafür sei vorausgesetzt:

(1) Die Seiten B L ¯ {\displaystyle {\overline {BL}}} und C M ¯ {\displaystyle {\overline {CM}}} seien parallel zur Geraden A H {\displaystyle AH} [7]
(2) Die Seiten A H ¯ {\displaystyle {\overline {AH}}} , B L ¯ {\displaystyle {\overline {BL}}} und C M ¯ {\displaystyle {\overline {CM}}} seien von gleicher Länge:
| A H ¯ | = | B L ¯ | = | C M ¯ | {\displaystyle |{\overline {AH}}|=|{\overline {BL}}|=|{\overline {CM}}|} .

Dann gilt:

Der Flächeninhalt des Parallelogramms B C M L {\displaystyle BCML} ist gleich der Summe der Flächeninhalte der beiden Parallelogramme A B D E {\displaystyle ABDE} und A C F G {\displaystyle ACFG} .
In Formeln:
F B C M L = F A B D E + F A C F G {\displaystyle F_{BCML}=F_{ABDE}+F_{ACFG}}

Zum Beweisgang

Beweis durch Scherung und Verschiebung

Der Beweisgang lässt sich so darstellen:[2][4][3][8]

Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass durch die Gerade A H {\displaystyle AH} eine Aufteilung der euklidischen Ebene E 2 {\displaystyle \mathbb {E} ^{2}} in zwei abgeschlossene Halbebenen gegeben ist.[9]

Die Schnittmengen dieser beiden Halbebenen mit dem Parallelogramm B C M L {\displaystyle BCML} bilden wiederum zwei Parallelogramme H A L B {\displaystyle {H^{*}}{A^{*}}LB} und H A M C {\displaystyle {H^{*}}{A^{*}}MC} , welche B C M L {\displaystyle BCML} aufteilen, wobei H {\displaystyle {H^{*}}} der Schnittpunkt der Geraden A H {\displaystyle AH} mit der Seite B C ¯ {\displaystyle {\overline {BC}}} ist und A {\displaystyle {A^{*}}} der Schnittpunkt der Geraden A H {\displaystyle AH} mit der Seite L M ¯ {\displaystyle {\overline {LM}}} .

Mittels Scherung und Parallelverschiebung – in der jeweiligen Halbebene! – sieht man nun, dass H A L B {\displaystyle {H^{*}}{A^{*}}LB} flächengleich ist mit A B D E {\displaystyle ABDE} und ebenso H A M C {\displaystyle {H^{*}}{A^{*}}MC} flächengleich mit A C F G {\displaystyle ACFG} .

Dies lässt sich in drei Teilschritten (s. u.) nachvollziehen, wobei die Behandlung der beiden Parallelogramme A B D E {\displaystyle ABDE} und A C F G {\displaystyle ACFG} vollkommen gleichartig ist.

Auf diesem Wege erhält man dann die gewünschte Identität:

F B C M L = F H A L B + F H A M C = F A B D E + F A C F G {\displaystyle F_{BCML}=F_{{H^{*}}{A^{*}}LB}+F_{{H^{*}}{A^{*}}MC}=F_{ABDE}+F_{ACFG}} .

Darstellung der Teilschritte

Anhand des Parallelogramms A B D E {\displaystyle ABDE} lassen sich die Teilschritte wie folgt beschreiben:

Teilschritt 1

Innerhalb des von den Geraden A B {\displaystyle AB} und D E {\displaystyle DE} berandeten – also dazwischen liegenden! – abgeschlossenen Streifens[10] S A B D E {\displaystyle {\mathcal {S}}_{AB-DE}} wird das Parallelogramm A B D E {\displaystyle ABDE} in ein flächengleiches Parallelogramm geschert, und zwar derart, dass die Punkte der Seite A B ¯ {\displaystyle {\overline {AB}}} festbleiben, während der Punkt D {\displaystyle D} in den Punkt I {\displaystyle I} , der Punkt E {\displaystyle E} in den Punkt H {\displaystyle H} , die Seite B D ¯ {\displaystyle {\overline {BD}}} in die Seite B I ¯ {\displaystyle {\overline {BI}}} und die Seite A E ¯ {\displaystyle {\overline {AE}}} in die Seite A H ¯ {\displaystyle {\overline {AH}}} übergehen.

Teilschritt 2

Längs der Geraden A H {\displaystyle AH} ( = A H ) {\displaystyle (={A^{*}H^{*}})} und dabei stets innerhalb des von den Geraden B I {\displaystyle BI} ( = B L ) {\displaystyle (=BL)} sowie A H {\displaystyle AH} berandeten abgeschlossenen Streifens S B I A H {\displaystyle {\mathcal {S}}_{BI-AH}} wird das in Teilschritt 1 entstandene Parallelogramm so verschoben, dass ein neues Zwischenparallelogramm entsteht, wobei I {\displaystyle I} in B {\displaystyle B} und B {\displaystyle B} in L {\displaystyle L} übergehen.

Teilschritt 3

Innerhalb S B I A H {\displaystyle {\mathcal {S}}_{BI-AH}} wird das in Teilschritt 2 entstandene Zwischenparallelogramm in das Parallelogramm H A L B {\displaystyle {H^{*}}{A^{*}}LB} geschert, und zwar derart, dass alle Punkte der Seite B L ¯ {\displaystyle {\overline {BL}}} festbleiben.

Zusammenhang mit dem Satz des Pythagoras

Der Satz des Pythagoras ergibt sich, wenn man annimmt, dass erstens das Dreieck A B C {\displaystyle ABC} rechtwinklig ist mit rechtem Winkel bei A {\displaystyle A} , mit Katheten A B ¯ {\displaystyle {\overline {AB}}} bzw. A C ¯ {\displaystyle {\overline {AC}}} sowie Hypotenuse B C ¯ {\displaystyle {\overline {BC}}} und dass zweitens die Parallelogramme A B D E {\displaystyle ABDE} und A C F G {\displaystyle ACFG} Quadrate sind.

Wie sich dann zeigt, sind die Dreiecke A G H {\displaystyle AGH} und A H E {\displaystyle AHE} beide rechtwinklig sowie zum Ausgangsdreieck A B C {\displaystyle ABC} kongruent und die Gerade A H {\displaystyle AH} fällt mit der Höhengeraden durch A {\displaystyle A} auf B C ¯ {\displaystyle {\overline {BC}}} zusammen. Das Parallelogramm B C M L {\displaystyle BCML} ist daher ein Rechteck und wegen | C M ¯ | = | A H ¯ | = | B C ¯ | {\displaystyle |{\overline {CM}}|=|{\overline {AH}}|=|{\overline {BC}}|} sogar ein Quadrat. Die Flächenformel fällt folglich in diesem Falle mit der pythagoreischen Formel

| B C ¯ | 2 = | A B ¯ | 2 + | A C ¯ | 2 {\displaystyle |{\overline {BC}}|^{2}=|{\overline {AB}}|^{2}+|{\overline {AC}}|^{2}}

zusammen. Weiterhin zeigt sich, dass mit dem obigen Beweisgang zugleich auch ein Beweis des euklidischen Kathetensatzes gegeben ist.[4]

Abgrenzung

Der hiesige Lehrsatz ist nicht identisch mit dem Großen Satz von Pappus, welcher allerdings ebenfalls auf Pappus Alexandrinus zurückgeht.

Literatur

  • Claudi Alsina, Roger B. Nelsen: Charming Proofs: A Journey Into Elegant Mathematics. Mathematical Association of America, 2010, ISBN 978-0-88385-348-1, S. 77–78 (Auszug (Google))
    • Claudi Alsina, Roger B. Nelsen: Bezaubernde Beweise: Eine Reise durch die Eleganz der Mathematik. Springer Spektrum, Berlin / Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-34792-4. 
  • Anna Maria Fraedrich: Die Satzgruppe des Pythagoras (= Lehrbücher und Monographien zur Didaktik der Mathematik. Band 29). B.I.-Wissenschaftsverlag, Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich 1994, ISBN 3-411-17321-1. 
  • Theophil Lambacher, Wilhelm Schweizer (Hrsg.): Lambacher-Schweizer. Mathematisches Unterrichtswerk für höhere Schulen. Geometrie. Ausgabe E, 13. Auflage. Teil 2. Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1965. 
  • Howard Eves: Pappus’s Extension of the Pythagorean Theorem. In: The Mathematics Teacher, Vol. 51, No. 7 (November 1958), S. 544–546, JSTOR:27955752
Commons: Satz von Pappos – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Pappus <Alexandrinus>, Hultsch, Friedrich: MDZ-Reader | Band | Pappi Alexandrini collectionis quae supersunt / Pappus | Pappi Alexandrini collectionis quae supersunt / Pappus. S. 204–206, abgerufen am 19. März 2021. 
  2. a b Claudi Alsina, Roger B. Nelsen: Bezaubernde Beweise: Eine Reise durch die Eleganz der Mathematik. Springer Spektrum, Berlin / Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-34792-4, S. 91–92. 
  3. a b Theophil Lambacher, Wilhelm Schweizer (Hrsg.): Lambacher-Schweizer. Mathematisches Unterrichtswerk für höhere Schulen. Geometrie. Ausgabe E, 13. Auflage. Teil 2. Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1965, S. 102. 
  4. a b c Anna Maria Fraedrich: Die Satzgruppe des Pythagoras (= Lehrbücher und Monographien zur Didaktik der Mathematik. Band 29). B.I.-Wissenschaftsverlag, Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich 1994, ISBN 3-411-17321-1, S. 88–89. 
  5. Die Formulierung Über … bedeutet, dass das jeweilige Parallelogramm mit dem Dreieck nur eine Seite gemeinsam hat, also – ;in diesem Sinne! ;– außerhalb des Dreiecks liegt.
  6. Die Reihenfolge der Punkte ist für die Darstellung der Geraden und Strecken unwesentlich. Es ist also für zwei Punkte X , Y {\displaystyle X,Y} stets X Y = Y X {\displaystyle XY=YX} und X Y ¯ = Y X ¯ {\displaystyle {\overline {XY}}={\overline {YX}}} .
  7. Eine Strecke ist parallel zu einer gegebenen Geraden genau dann, wenn die Gerade, auf der die Strecke liegt, und die gegebene Gerade parallel sind.
  8. Die Darstellung folgt im Wesentlichen der von Alsina und Nelsen (S. 92). Alsina und Nelsen geben an, ihre Darstellung sei wiederum von dem amerikanischen Mathematiker Howard Whitley Eves übernommen. Der Beweisansatz ähnelt dem des Scherungsbeweises des Pythagoreischen Lehrsatzes. Die im Lambacher-Schweizer auf S. 102 zu findende Skizze legt nahe, dass dieser Ansatz zum Beweis der Flächenformel schon früher bekannt war.
  9. E 2 A H {\displaystyle \mathbb {E} ^{2}\setminus AH} ist also in die beiden zugehörigen offenen Halbebenen zerlegt.
  10. Geht man von einer festgelegten Links-Rechts-Orientierung der euklidischen Ebene E 2 {\displaystyle \mathbb {E} ^{2}} aus und bezeichnet man für zwei verschiedene parallele Geraden g , h E 2 {\displaystyle g,h\subset \mathbb {E} ^{2}} die abgeschlossenen Halbebenen auf der linken Seite mit H g {\displaystyle {H_{g}}^{-}} bzw. H h {\displaystyle {H_{h}}^{-}} , die auf der rechten Seite mit H g + {\displaystyle {H_{g}}^{+}} bzw. H h + {\displaystyle {H_{h}}^{+}} und nimmt man weiter o. B. d. A. g H h {\displaystyle g\subset {H_{h}}^{-}} an, so hat der dazwischen liegende Streifen die Darstellung S g h = H g + H h {\displaystyle {\mathcal {S}}_{g-h}={H_{g}}^{+}\cap {H_{h}}^{-}} .