Dries van Agt

Dries van Agt (1980)

Andreas Antonius Maria „Dries“ van Agt (Aussprache/?; * 2. Februar 1931 in Geldrop, Provinz Noord-Brabant; † 5. Februar 2024 in Nijmegen) war ein niederländischer Politiker (KVP, ab 1980 CDA). Er war von 1977 bis 1982 Ministerpräsident der Niederlande. Zuvor war er von 1971 bis 1977 Justizminister. Von 1976 bis 1982 war er politischer Leiter des Christen-Democratisch Appèl, der sich in dieser Zeit von einem Wahlbündnis christlicher Parteien zu einer einzigen Partei wandelte.

Leben

Van Agt wurde 1931 als Sohn eines Textilfabrikanten in Geldrop (Noord-Brabant) geboren. Nach dem Abitur am Augustinianum in Eindhoven studierte er Jura an der Katholieke Universiteit Nijmegen (heute Radboud-Universität) und promovierte dort 1955. Danach war er bis 1957 Rechtsanwalt in Eindhoven und arbeitete anschließend bis 1962 im Ministerium für Landwirtschaft und Fischerei und danach bis 1968 im Justizministerium. Von 1968 bis 1971 war er Professor für Strafprozessrecht an der Katholischen Universität Nijmegen.

1995 bis 1996 hatte er eine Gastprofessur für Internationale Beziehungen an der Universität Kyōto in Japan inne.

Bekannt war van Agts Vorliebe für den Radsport.

Er starb am 5. Februar 2024 im Alter von 93 Jahren gemeinsam mit seiner Ehefrau Eugenie, mit der er siebzig Jahre verheiratet war, durch aktive Sterbehilfe.[1][2]

Politische Karriere

Dries van Agt bei der Vorstellung der künftigen Minister des Kabinetts Biesheuvel (1971)

Justizminister

Das Mitglied der Katholischen Volkspartei (KVP) war vom 6. Juli 1971 bis zum 11. Mai 1973 Justizminister im Kabinett Biesheuvel. Bei der Parlamentswahl im November 1972 wurde er in die Zweite Kammer der Generalstaaten gewählt. Bei der anschließenden Regierungsbildung kam ihm zusammen mit Wil Albeda (ARP) die Rolle des Informateurs zu. Es kam eine Mitte-links-Koalition aus fünf Parteien zustande. In diesem Kabinett unter Führung des Sozialdemokraten Joop den Uyl war van Agt vom 11. Mai 1973 bis zum 8. September 1977 erneut Justizminister und zusätzlich stellvertretender Ministerpräsident. Zusammen mit Gesundheitsministerin Irene Vorrink brachte er 1976 die Änderung des niederländischen Betäubungsmittelgesetzes (Opiumwet) ein, durch die eine Unterscheidung zwischen „harten“ und „weichen Drogen“ eingeführt und der Besitz von Hanfprodukten für den Eigenkonsum zum Vergehen herabgestuft wurde. Van Agt stellte 1977 im Parlament die Bücher 3, 5 und 6 des neuen Zivilgesetzbuchs (Nieuw Burgerlijk Wetboek) vor.

Justizminister van Agt (links) mit Ministerpräsident Joop den Uyl (1977)

Van Agt stand zuweilen im Mittelpunkt heftiger Auseinandersetzungen, etwa als er die Abtreibungsklinik Bloemenhove schließen lassen wollte, oder durch sein unbeholfenes Auftreten in der so genannten „Menten-Affäre“, in deren Verlauf er beinahe hätte zurücktreten müssen. 1972 löste er Entrüstung aus, als er drei in Breda inhaftierte NS-Kriegsverbrecher begnadigen wollte. In einer Pressekonferenz erklärte er, dass ihm die Bestrafung der Kriegsverbrecher aus zwei Gründen wenig bedeute: „Ich bin erstens zu jung, habe im Krieg nie gelitten, und zweitens bin ich Arier.“ Dies löste noch größere Empörung aus und nach Demonstrationen gegen die Entscheidung zur Begnadigung erklärte van Agt: „Hätte ich gewusst, wieviel Emotionen noch wach sind – ich hätte die Begnadigung nicht angeregt.“[3]

CDA-Chef und Ministerpräsident

Bei der Parlamentswahl im Mai 1977 war van Agt Spitzenkandidat des Christen-Democratisch Appèl (CDA), der gemeinsamen Liste der drei christlichen Parteien KVP, ARP und CHU, die mit 31,9 Prozent der Stimmen und 49 Sitzen zweitstärkste Kraft hinter der erstarkten Partij van de Arbeid wurde. Anschließend war er erster Vorsitzender der neuen CDA-Fraktion in der Zweiten Kammer. Am 19. Dezember 1977 wurde er Ministerpräsident der Niederlande, sein erstes Kabinett war eine Mitte-rechts-Koalition mit der liberalen VVD unter Hans Wiegel. Die drei im Wahlbündnis und der Fraktionsgemeinschaft CDA zusammengeschlossenen Parteien verschmolzen im Oktober 1980 zu einer einzigen Partei, deren erster Parteiführer van Agt bis Oktober 1982 war.

Bei der Parlamentswahl im Mai 1981 wurde der CDA stärkste Kraft, van Agts christlich-liberale Koalition verfehlte aber knapp die absolute Mehrheit. Daraufhin bildete er eine Mitte-links-Regierung aus seinen Christdemokraten, der sozialdemokratischen PvdA und der sozialliberalen Partei D66. Das Kabinett Van Agt II kam am 11. September 1981 ins Amt. Dabei kam es zu einem erneuten Aufeinandertreffen mit Joop den Uyl, der dann als Vizepremier und Superminister für soziale Angelegenheiten unter van Agt dienen musste. Die Koalition zerbrach nach acht Monaten: Aufgrund von Unstimmigkeiten über die Finanzierung der Beschäftigungspolitik traten die PvdA-Minister am 12. Mai 1982 zurück. Die charakterlichen und politischen Differenzen und Auseinandersetzungen waren so groß, dass van Agt noch 1987 der Zutritt zu den Uyls Beerdigung von dessen Familie verwehrt wurde.

Van Agt (links) mit seinem Nachfolger Ruud Lubbers auf dem Wahlparteitag des CDA (1982)

Am 29. Mai 1982 bildete van Agt sein drittes Kabinett, eine Minderheitsregierung, der nur Minister von CDA und D66 angehörten. In dieser war van Agt in Personalunion auch Außenminister. Als solcher vertrat er angesichts der israelischen Invasion im Südlibanon die Verlängerung der niederländischen Beteiligung an der Mission UNIFIL um einen Monat. Im September 1982 wurden vorgezogene Neuwahlen abgehalten, bei denen der CDA drei Sitze verlor und hinter die Arbeitspartei zurückfiel. Am 25. Oktober 1982 wurde van Agt als Parteichef von Ruud Lubbers abgelöst, der zehn Tage später auch zum Ministerpräsidenten einer neuen Mitte-rechts-Regierung mit der erstarkten VVD ernannt wurde.

Nach der Regierungszeit

Dries van Agt mit Ministerpräsident Mark Rutte (2011)

Von September 1982 bis Juni 1983 war van Agt Abgeordneter in der Zweiten Kammer und danach bis 1987 Beauftragter der Königin in der Provinz Noord-Brabant. Von 1987 bis 1989 vertrat er die Europäische Gemeinschaft als Botschafter in Japan und bis 1995 in den USA.

Seit März 2009 engagierte er sich für das neu gegründete Russell-Tribunal zu Palästina. Seit einigen Jahren exponierte er sich als heftiger Gegner Israels und dessen Politik gegenüber Palästinensern. Er war von 2009 bis 2015 Vorsitzender der Stiftung The Rights Forum, die nach eigenen Angaben „auf eine gerechte Lösung der Palästina/Israel-Frage“ drängt und sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt. Zudem war er Vorsitzender des Beirats der ebenfalls pro-palästinensischen Stiftung International Forum for Justice and Peace.[4] Aus dem CDA trat er 2021 aus.[1]

Literatur

  • Andreas AM van Agt in: Internationales Biographisches Archiv 02/1995 vom 2. Januar 1995, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)

Weblinks

Commons: Dries van Agt – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Mr. A.A.M. (Dries) van Agt bei Parlement & Politiek

Einzelnachweise

  1. a b Früherer niederländischer Premier Dries van Agt gestorben. In: RP Online. 9. Februar 2024, abgerufen am 9. Februar 2024. 
  2. Duo euthanasia: former Dutch prime minister dies hand in hand with his wife. In: The Guardian. 10. Februar 2024, abgerufen am 10. Februar 2024 (englisch). 
  3. NIEDERLANDE: Ein Tränental. In: Der Spiegel. Nr. 52, 1977 (online). 
  4. Mr. A.A.M. (Dries) van Agt bei Parlement & Politiek.

seit Durchsetzung der Ministerverantwortlichkeit 1848: Gerrit Schimmelpenninck | Dirk Donker Curtius | Jacob de Kempenaer | Johan Rudolf Thorbecke | Floris Adriaan van Hall | Justinus van der Brugghen | Jan Jacob Rochussen | Floris Adriaan van Hall | Jacob van Zuylen van Nijevelt | Schelto van Heemstra | Johan Rudolf Thorbecke

seit Durchsetzung der Parlamentsherrschaft 1866: Isaäc Dignus Fransen van de Putte | Julius van Zuylen van Nijevelt | Pieter Philip van Bosse | Johan Rudolf Thorbecke | Gerrit de Vries | Jan Heemskerk | Joannes Kappeyne van de Coppello | Constantijn Theodoor van Lynden van Sandenburg | Jan Heemskerk | Æneas Mackay | Gijsbert van Tienhoven | Joan Röell | Nicolaas Pierson | Abraham Kuyper | Theo de Meester | Theo Heemskerk | Pieter Cort van der Linden

seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1918/1922: Charles Ruijs de Beerenbrouck | Hendrik Colijn | Dirk Jan de Geer | Charles Ruijs de Beerenbrouck | Hendrik Colijn | Dirk Jan de Geer | Pieter Sjoerds Gerbrandy

seit Kriegsende 1945: Wim Schermerhorn | Louis Beel | Willem Drees | Louis Beel | Jan de Quay | Victor Marijnen | Jo Cals | Jelle Zijlstra | Piet de Jong | Barend Biesheuvel | Joop den Uyl | Dries van Agt | Ruud Lubbers | Wim Kok | Jan Peter Balkenende | Mark Rutte

Gijsbert Karel van Hogendorp | Anne Willem Carel van Nagell van Ampsen | Johann Gotthard Reinhold | Willem Frederik van Reede | Patrice Claude Ghislain de Coninck | Johan Gijsbert Verstolk van Soelen | Hugo van Zuylen van Nijevelt | Jan Willem Huyssen van Kattendijke | Willem Anne Schimmelpenninck van der Oye | James Albert Henry de la Sarraz | Lodewijk Napoleon van Randwijck | Gerrit Schimmelpenninck | Arnold Adolf Bentinck van Nijenhuis | Leonardus Antonius Lightenvelt | Herman van Sonsbeeck | Jacob van Zuylen van Nijevelt | Floris Adriaan van Hall | Daniël Théodore Gevers van Endegeest | Jan Karel van Goltstein | Floris Adriaan van Hall | Julius van Zuylen van Nijevelt | Louis Napoleon van der Goes van Dirxland | Jacob van Zuylen van Nijevelt | Martin Pascal Hubert Strens | Anthony Jan Lucas Stratenus | Paul Therèse van der Maesen de Sombreff | Willem Johan Cornelis Huyssen van Kattendijke | Eppo Cremers | Julius van Zuylen van Nijevelt | Joannes Josephus van Mulken | Theodorus Marinus Roest van Limburg | Joannes Josephus van Mulken | Louis Gericke van Herwijnen | Joseph van der Does de Willebois | Willem van Heeckeren van Kell | Constantijn Theodoor van Lynden van Sandenburg | Willem Frederik Rochussen | Joseph van der Does de Willebois | Marc Willem du Tour van Bellinchave | Abraham Pieter Cornelis van Karnebeek | Cornelis Hartsen | Gijsbert van Tienhoven | Joannes Coenraad Jansen | Joan Röell | Willem Hendrik de Beaufort | Robert Melvil van Lynden | Abraham George Ellis | Willem Marcus van Weede van Berencamp | Abraham George Ellis | Dirk Arnold Willem van Tets van Goudriaan | René de Marees van Swinderen | Pieter Wilhelm Adriaan Cort van der Linden | John Loudon | Herman Adriaan van Karnebeek | Frans Beelaerts van Blokland | Charles Ruijs de Beerenbrouck | Andries Cornelis Dirk de Graeff | Hendrikus Colijn | Jacob Adriaan Nicolaas Patijn | Eelco van Kleffens | Herman van Roijen | Pim van Boetzelaer van Oosterhout | Dirk Stikker | Johan Willem Beijen | Joseph Luns | Norbert Schmelzer | Max van der Stoel | Chris van der Klaauw | Max van der Stoel | Dries van Agt | Hans van den Broek | Pieter Kooijmans | Hans van Mierlo | Jozias van Aartsen | Jaap de Hoop Scheffer | Ben Bot | Maxime Verhagen | Uri Rosenthal | Frans Timmermans | Bert Koenders | Halbe Zijlstra | Sigrid Kaag | Stef Blok | Sigrid Kaag | Tom de Bruijn | Ben Knapen | Wopke Hoekstra | Hanke Bruins Slot

Normdaten (Person): GND: 122369351 (lobid, OGND, AKS) | LCCN: n79004152 | VIAF: 50106807 | Wikipedia-Personensuche
Personendaten
NAME Agt, Dries van
ALTERNATIVNAMEN Agt, Andreas Antonius Maria van (vollständiger Name)
KURZBESCHREIBUNG niederländischer Politiker (KVP, CDA, Ministerpräsident 1977–1982), Rechtswissenschaftler und Diplomat
GEBURTSDATUM 2. Februar 1931
GEBURTSORT Geldrop
STERBEDATUM 5. Februar 2024
STERBEORT Nijmegen